Valeriana enthüllt: 6.500 verborgene Maya-Strukturen verändern die Geschichte
Valeriana ist eine neu entdeckte Maya-Metropole nahe Campeche. Ein archivierter LiDAR-Scan deckte 6 500 Gebäude auf – mehr als bisher für Tikal bekannt waren.
Es war kurz nach Mitternacht, als der Doktorand Luke Auld-Thomas auf Trefferseite 16 seiner Google-Suche innehielt. In einer zehn Jahre alten LiDAR-Messung zur Wald-Kohlenstoff-Bilanz – längst archiviert und vergessen – schimmerte unter dem Blätterdach des Dschungels von Campeche ein geisterhaftes Mosaik aus Plätzen und Pyramiden. Noch vor Sonnenaufgang hatte er auf fast 130 Quadratkilometern 6 500 Steingebäude nachgezeichnet – eine Stadt, die niemand zuvor kartiert hatte. Diese Entdeckung, später Valeriana getauft, liegt verblüffend nah an der Highway 261. Dort bauten Landwirte jahrelang Mais zwischen Tempelruinen an, ohne zu ahnen, dass unter ihren Füßen eine Stadt aus der Klassik schlummerte.
(–> LiDAR-Technologie)

Die LiDAR-Detektivgeschichte
Als Auld-Thomas seine Dissertation über ländliche Maya-Landschaften begann, war ein eigener Flug-Laserscan unerschwinglich. (–>LiDAR) Also hoffte er auf Zufallsfunde: Irgendjemand musste dieses Gebiet bereits erfasst haben. Der Einsatz lohnte sich. 2013 hatte The Nature Conservancy mit einem RIEGL Q780-Laserscanner zwei Milliarden Messpunkte gesammelt und die Rohdaten auf einem obskuren FTP-Server abgelegt – wo sie digitalen Staub ansetzten.
Im Fernerkundungslabor der Tulane-University filterte Auld-Thomas die Vegetationsreflexionen heraus. Zurück blieb ein gestochen scharfes Geländemodell: zwei monumentale Bezirke, verzahnte Dammwege (sacbés) sowie ein E-Group-Sonnenobservatorium, exakt auf die Sonnenwenden ausgerichtet. „Das war das archäologische Äquivalent zu einem Google-Earth-Moment“, erzählte er später dem Smithsonian Magazine.
Die Kolleg:innen Marcello Canuto (Tulane) und Katherine Hahn (INAH Campeche) überprüften die ersten Strukturen im Feld: Verwitterte Kalksteinquader unter Laub entsprachen exakt den digitalen Umrissen. Schon bald kartierte das Team eine Siedlungsfläche von 47 Quadratmeilen – das entspricht etwa 122 Quadratkilometern, womit Calakmul – bislang regionales Schwergewicht – Konkurrenz bekam. Bevölkerungsmodelle mit sechs bis acht Personen pro Haushalt ergeben 30 000–50 000 Einwohner zur Blütezeit Valerianas.
„Das setzt wirklich ein Ausrufezeichen hinter die Aussage, dass wir noch längst nicht alles gefunden haben – und dass es viel mehr zu entdecken gibt.“
— Luke Auld-Thomas
LiDAR in Aktion: Valeriana vs. Ocomtún
Ein kurzer Abstecher nach Ocomtún
Die Mayastadt Ocomtún – erst 2023 mithilfe von LiDAR-Daten im Biosphärenreservat Balamkú (Campeche) entdeckt – gilt als spätklassisches Maya-Zentrum. Der Archäologe Ivan Šprajc benannte die Stadt nach den zahlreichen zylindrischen Steinsäulen (Maya ocom tun = „Steinsäule“). Auf gut 50 Hektar zeichnen sich Pyramiden bis 15 m Höhe, drei große Plazas, ein Ballspielplatz sowie Altäre und Säulenensembles ab; Keramikfunde datieren die Blütezeit auf ca. 600–800 n. Chr. Das schwer zugängliche Karsthochland hielt Ocomtún jahrhundertelang verborgen – bis Laserstrahlen das Blätterdach durchdrangen.
Bevor wir in die Zahlen eintauchen, lohnt sich ein kurzer Blick darauf, warum gerade Valeriana und Ocomtún so aussagekräftige Vergleichspartner sind. Beide liegen im Karsthochland der südöstlichen Yukatán-Halbinsel, wurden fast zeitgleich (Frühklassik bis Spätklassik) besiedelt und blieben dank dichter Vegetation Jahrhunderte lang verborgen. Erst die Laser-Durchmusterung aus der Luft (LiDAR) machte sichtbar, welch unterschiedliche Antworten die beiden Städte auf dieselben geografischen und klimatischen Herausforderungen fanden – von der Wasserspeicherung über Verkehrsachsen bis hin zur hierarchischen Platzierung sakraler Monumente. Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten LiDAR-Kennzahlen nebeneinander, um diese Kontraste auf einen Blick erfassbar zu machen.
Valeriana | Ocomtún | |
---|---|---|
Jahr der Bekanntgabe | 2024 | 2023 |
LiDAR-Quelle | Archivierter Waldscan 2013 | Maßgeschneiderter Flug 2023 (Balamkú-Reservat) |
Gelände | Highway-nah, flaches Relief | Abgelegenes Karst-„Halbinsel“-Gebiet, Feuchtgebiete |
Größe | 6.500 Strukturen / 130 km² | 50 ha monumentaler Kern |
LiDAR-Befund | Doppelbezirke, sacbé, gestautes Reservoir | Konzentrische Plätze, Säulenhallen |
Lehre | Alte Datensätze können Megastädte verbergen | Neue Flüge füllen weiße Kartenflecken |
Merksatz: Ob auf einer vergessenen Festplatte oder erst gestern beflogen – LiDARs vegetationsdurchdringende Pulse schreiben die Maya-Geografie in atemberaubendem Tempo um.

Anatomie von Valeriana
Monumentale Bezirke
Der südliche Bezirk ist klassischer Maya-Prunk: drei gestufte Plätze mit einer 25 m hohen Pyramide und flankierenden Zwillingsheiligtümern, die den Twin-Pyramid-Komplexen von Tikal ähneln. Östlich liegt ein Ballspielplatz; das Spielfeld ist im Schummerrelief noch klar erkennbar. LiDAR-Intensitäten deuten auf Stuckreste hin – der Platz muss einst blendend weiß geglänzt haben.
Der nördliche Bezirk schreibt Lehrbücher um. Statt symmetrischer Achsen integrierten die Baumeister halbkreisförmige Amphitheatersitze am Rand der Plaza – ein außerhalb von Chichén Itzá äußerst seltenes Merkmal. Zusammen mit dem E-Group-Observatorium deutet das auf ein experimentelles kult-bürgerliches Zentrum hin, das Maya-Stadtplanung neu auslotete.
Infrastruktur
Zwischen beiden Bezirken verläuft ein 2 km langer sacbé, ein Prozessionsboulevard, dessen 5 m Breite heute noch messbar ist. Abzweige verbinden Wohncluster, terrassierte Felder und chultún-artige Zisternen. Am auffälligsten ist ein gestautes Reservoir an der Ostflanke: LiDAR-Querschnitte zeigen einen 140 m langen Erdwall, der Regen in einen see-großen Speicher lenkte – frühzeitige Ingenieurskunst auf Tikal-Niveau.
Punktwolken markieren Dutzende Steinbrüche; Holzkohlesignaturen in Bohrproben (Publikation in Vorbereitung) deuten auf bewirtschafteten Agro-Forst statt Brandrodung. Das Layout kombiniert Monumentalität mit pragmatischer Wasser- und Ernährungssicherung.
Warum das für die Mayaforschung wichtig ist
Valeriana zwingt Fachleute, lang etablierte Urbanismus-Gradienten neu zu bewerten. Süd-Campeche galt bislang als Hinterland, gesprenkelt von kleinen Zentren, die Supermächte wie Calakmul versorgten. Die LiDAR-Daten zeigen jedoch eine dichtere, vernetzte Landschaft, in der Mittelzentren in Tagesreisedistanz florierten. Das stellt Modelle politischer Hegemonie allein nach Monumentgröße infrage und spricht für föderierte Herrschaft oder wechselnde Allianzen.
Amphitheater und Reservoir belegen zudem, dass Innovation nicht nur in „Goldene-Zeit-Städten“ stattfand: Ideen verbreiteten sich im gesamten Tiefland. Umwelthistoriker:innen verweisen darauf, dass Valeriana in einer karstigen Zone liegt, die früher als landwirtschaftlich marginal galt – ein Beispiel dafür, wie die Maya Feuchtgebiete und dünne Böden produktiv machten. Auld-Thomas fasst es so zusammen: „Antike Lösungen für Wasserstress können heute klimaresilientes Design inspirieren.“
Die Nachbarschaft kartieren: Weitere verborgene Städte
LiDAR hat nicht nur Valeriana zutage gefördert. Süd-Campeche liest sich jetzt wie ein Archipel vergessener Zentren – einige direkt an Asphaltstraßen, andere tief in Feuchtgebieten. Ein Überblick um Valeriana:
Site / Cluster | Ca. Entfernung* | Entdeckungsstatus | Bedeutung |
---|---|---|---|
La Carmelita-Gruppe | 10–20 km NW | Im selben 2013er LiDAR sichtbar; Hunderte Hausplattformen, sacbés, Reservoirs | Zeigt: Der Highway-Korridor ist ein durchgehendes Siedlungsband |
Dzibilnocac & Chenes-Tempel | 35–50 km N-NE | Längst bekannte Oberflächenruinen; werden jetzt per Drohne vermessen | Architektur-Links (Chenes-Fassaden) könnten frühe Valeriana-Monumente datieren |
Calakmul-Supercluster | 70–100 km S | LiDAR 2022-23 zeigt Vororte und sacbés | Platziert Valeriana in einer weiträumigen polyzentrischen Urbanlandschaft |
Šprajcs Funde (Lagunitá, Tamchén, Chactún) | 40–80 km SE | Maßgeflogene LiDARs + Dschungel-Treks | Belegen große Ritual-Zentren auch in weglosen Feuchtgebieten |
Balamkú–Becán-Korridor | 50–90 km E | Klassische Río-Bec-Türme; neue Punktwolkenarbeit | Verfolgt Handelsstraßen von Campeche in die Río-Bec-Hügel |
Unbenannte LiDAR-Ziele | 5–30 km | 5–10 ha Bezirke in Waldscan sichtbar | Schließen demografische Lücken zwischen Großzentren und Weiler |
*Entfernungen gemessen vom Kern Valerianas.
Merksatz: Valeriana ist kein Ausreißer, sondern ein dichter Knoten in einem regionalen Netz aus Mittelstädten und Landaußenposten. Jedes neue – oder wiederentdeckte – LiDAR-Dataset treibt die Grenzen dieses Netzes weiter hinaus.
FAQ
Was ist LiDAR?
LiDAR (Light Detection And Ranging) sendet zehntausende Laserimpulse pro Sekunde von einem Flugzeug aus. Aus Laufzeit-Unterschieden entsteht ein 3-D-Geländemodell mit Sub-Meter-Genauigkeit. Infrarotlicht gleitet durch Lücken im Blätterdach, sodass Archäologen die Vegetation digital „wegschälen“ können – verborgene Bauten erscheinen.
Siehe auch unseren ausführlichen Leitfaden Die Rolle der LiDAR-Technologie in der Maya-Archäologie.
Wie groß ist Valeriana im Vergleich zu bekannten Maya-Hauptstädten?
Mit rund 130 km² Fläche und 6 500 Gebäuden rivalisiert Valeriana das ausgedehnte Calakmul und übertrifft die Kernbezirke von Tikal oder Palenque deutlich – und das alles unbemerkt neben einer modernen Fernstraße bis 2024.
Können Tourist:innen Valeriana schon besuchen?
Nein. Die Stätte ist unerschlossen, unbeschildert und gesetzlich geschützt. Ein Besuch ohne akkreditierten INAH-Guide birgt Bußgelder und – schlimmer noch – Gefahr für die fragilen Mauern. Siehe Ethik-Tipps unten, wie Sie das Erbe unterstützen können, ohne es zu gefährden.
Wie verlässlich sind die Schätzungen von 30 000–50 000 Einwohnern?
Die Forschenden multiplizierten die Zahl der Wohnplattformen mit konservativen 6–8 Personen pro Haushalt – eine Formel, die an ausgegrabenen Tiefland-Sites validiert wurde. Weitere Grabungen und Bodenanalysen können die Werte noch korrigieren.
Reisehinweis & Ethischer Tourismus
Valeriana liegt weniger als 5 km von Highway 261 entfernt, ist jedoch nicht für Besucher:innen geöffnet. Wer Campeche erkunden will, sollte sich in Hopelchén einquartieren und zunächst erschlossene Stätten wie Dzibilnocac besuchen. Eigenmächtige Treks nach Valeriana können empfindliche Kalksteinstrukturen beschädigen und mexikanisches Kulturgutrecht verletzen. Besser: Unterstützen Sie lokale ejidos, die Vogelbeobachtungstouren anbieten und so Einkommen in die Waldpflege lenken. Treffen Sie auf unmarkierte Hügel, fotografieren Sie Artefakte statt sie mitzunehmen, notieren Sie GPS-Daten und melden Sie den Fund dem INAH-Büro in Campeche. Verantwortung heute sichert archäologische Forschung von morgen.
Weiterführende Literatur
- Auld‑Thomas, L., et al. (2024). “LiDAR reveals Valeriana.” Antiquity 98(401): 1‑15.
- Smithsonian Magazine (2024). “Google‑Earth moment uncovers hidden Maya metropolis.”
- INAH Boletín (Oct 2024). “Presentan la metrópolis maya Valeriana en Campeche.”
- Sci.News (2024). “Laser scan maps 6,500 Maya structures in Mexico.”
- Šprajc, I., et al. (2024). “Ocomtún: A newly identified Maya center in the Balamkú reserve.” Mexicon 46(5): 101‑107.